Das Amt im Orient

Sich über unnötige Bürokratie, Langsamkeit und Unfreundlichkeit bei Ämtern und Beamten zu beschweren ist wie zehn Bier zu trinken und sich dann zu wundern, dass man betrunken ist.

Ich will mich nicht beschweren, nur eine kleine Geschichte erzählen:

Es war einmal ein Deutscher im Iran, dessen Visum nur noch drei Tage gültig war. Dieser junge Mann, sein Name war N, wollte nach Afghanistan reisen, das aber erst vier Tage nach Ablauf seines iranischen Visums. Sorgenfrei und mit Vertrauen in die persische Gastfreundschaft machte er sich auf zum Polizeiamt für Ausländerangelegenheiten, um sich die Erlaubnis zu besorgen, ein wenig länger zu bleiben.

Einmal dort angekommen, wurde er aufgefordert, sich in das erste Obergeschoss des Gebäudes zu begeben. Dies tat N ohne zu zögern. Er kam an hunderten von stehenden, hockenden und sitzenden Menschen mit rosafarbenen Pappordnern vorbei und fand schließlich eine Reihe von Schaltern mit verschmierten Fenstern und Zetteln, auf denen geschrieben stand: „visa extension“.

Wie es sich gehört, reihte sich N in der Menschenschlange vor einem der beiden offenen Schalter ein. Die übrigen Wartenden, beinahe sämtlich aus Afghanistan stammend, zeigten, dass sie körperliche Nähe sehr wertschätzten. Das störte N wenig, obschon es ein heißer Tag war und der Geruch im Raum erwas unangenehm.

Ein wenig ungerecht fand N hingegen, dass es dort Menschen gab, die nicht warten wollten und sich vor jene stellten, die bereits lange warteten. Er mischte sich aber nicht in die Streitgespräche darüber ein. Um ein freundliches Auftreten stets bemüht, lächelte er stattdessen einem kleinen vollleibigen Soldaten zu, der einigen Menschen das Warten nicht zumuten wollte und sie nach vorne brachte.

Als N einige Zeit da stand, fiel ihm auf, dass auch hier alle einen Ordner aus rosafarbener Pappe, darin weiße Papiere, bei sich hatten. Es beschlich ihn der Gedanke, dass er auch so etwas haben sollte. So fragte er einen Mitwartenden und der verriet ihm, dass die Ordner samt auszufüllenden Papieren im Erdgeschoss zu bekommen seien. N stieg also die Treppe wieder hinab und ließ sich geben, was er brauchte, sowie den Ratschlag, seinen Reisepass bei der Dame gegenüber kopieren zu lassen. Auch dies besorgte N.

Um sich die Zeit zu verkürzen, stellte sich N wieder an das Ende der Menschenreihe im ersten Obergeschoss und schrieb dort auf die Papiere seine Antworten auf die Fragen zu seiner Person und nach dem Vornamen seines Vaters. Er ließ sich weder von den kleinen Feldern auf den Papieren noch von fremden Ellenbogen davon abbringen.

Als die Dame hinter der Scheibe des Spielens mit ihrer kleinen Tochter überdrüssig geworden war und N der erste unter den Wartenden, machte ihn die Beamtin wenig freundlich darauf aufmerksam, dass seine Papiere und Fotos nicht aneinander befestigt waren. N verließ abermals die Wartenden und fand bald den für das Heften von Papieren und Fotos zuständigen Mann. Der verstand sofort und tat seine Pflicht.

Zu seiner freudigen Überraschung durfte N nun zum zweiten Schalter nach vorne kommen, da er das Mitleid der zweiten Beamtin erregt hatte. Für diese Bevorzugung schämte sich N ein wenig vor den anderen Wartenden.

N wähnte sich schon am Ziel, doch dann hieß man ihn, sich zu einem Gespräch im Büro eines höherrangigen Beamten einzufinden. Dieser war nicht einverstanden mit dem Antrag des N und wies ihn darauf hin, dass drei Tage genügten, um das Land zu verlassen. Dies sah N ein, aber er log und beschuldigte die Botschaft des Landes Afghanistan, ihm nicht rechtzeitig ein Visum ausstellen zu können. Diese Lüge war N peinlich, aber er wiederholte sie noch einige Male und bat den Beamten beinahe flehentlich um Nachsicht. Schließlich gab dieser mit einem mürrischen Grunzlaut nach und beschrieb die Papiere des N mit roter Tinte.

Zurück am Schalter reichte die freundliche Beamtin N einen kleinen Papierzettel und teilte ihm mit, dass er bereits am nächsten Tag wiederkommen dürfe, um sich seinen Pass abzuholen.

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