Die Botschaft im Orient

Ich kenne die afghanische Botschaft in Teheran mittlerweile ganz gut. Ich habe sie am letzten Donnerstag gegen Mittag zum ersten Mal besucht. Ich ging durch das Eingangstor und fand mich vor einem Stand unter freiem Himmel wieder, der aussah wie ein Bierstand auf einer Dorfkirmes. Ich bräuchte ein Visum, sagte ich dem Mann hinter dem Stand. Das sei schön, erwiderte er, aber hier kümmere man sich um afghanische Flüchtlinge. Der Blick, mit dem mich die Flüchtlinge betrachteten, verriet, dass sie sich nicht sicher waren, was sie von einem blonden Blauäugigen halten sollten, der ihre Sprache nicht sprach und sich offensichtlich für einen afghanischen Flüchtling ausgab.

Ich musste zur Tür nebenan. Dort sagte man mir durch ein kleines Fenster, ich solle Sonntag wiederkommen. Heute sei die Konsularabteilung schon geschlossen. Freitag ist der islamische Ruhetag und Samstag war ein Feiertag. Ob ich denn wenigstens schon mal das Antragsformular haben dürfe. Nein, das hätten sie nicht.

Gestern um halb zwölf stand ich wieder vor der Tür. Diesmal ließ man mich hinein. Heute könne man keine Anträge mehr bearbeiten, sagte der Mann hinter dem Schreibtisch am Eingang. Wenn ich aber morgen wiederkäme, könne ich das Visum vielleicht schon am selben Tag bekommen. Spätestens am Tag darauf. Das Formular gäbe es zwei Türen weiter.

Theoretisch stimmte das. Von den drei Schaltern „Passport“, „Visa“ und „Cash“, hinter denen sich drei Beamte einen kleinen Raum teilen, waren aber nur zwei besetzt. Der Visum-Beamte käme erst in einer Stunde wieder. Ob da denn keine Formulare liegen würden. Nein, die seien weggeschlossen. Ich wollte nicht warten, sondern ging heute morgen wieder hin.

Ich bekam ein Formular und setzte mich auf einen der Sitze vor den Schaltern, um es auszufüllen. Nein, nein, sagte man mir und zeigte nach draußen. „Type!“

Tatsächlich saß auf der gegenüberliegenden Straßenseite auf dem Bürgersteig ein Mann vor einer Schreibmaschine, davor eine Schlange von etwa zehn Männern. Wenn ich Schlange sage, meine ich das nicht im Sinne einer Reihe von Menschen, die sich hintereinander anstellen und mehr oder weniger geduldig darauf warten, dran zu kommen. Hier und auch in Afghanistan ist die Schlangenkultur etwas anders. Einige stellen sich zwar hinten an, andere gehen aber einfach gleich nach vorne. Weist man sie, ordnungsliebender Deutscher der man nun mal ist, darauf hin, dass sie sich hinten anzustellen haben, und dass ihre Ellbogen außerdem nichts in anderer Leute Rippen zu suchen haben, bekommt man als Antwort eine lange Rede, die meistens mit den Worten „ich will doch nur“ anfängt. Gleichzeitig schiebt eine Hand dem Beamten die Papiere entgegen, den es nicht interessiert, wer schon wie lange wartet.

Mit dem maschinell auf Farsi ausgefüllten Formular, meinem Pass, zwei Kopien desselben sowie einem des Antragsformulars, zwei Passfotos und der Visumsgebühr in US-Dollar – der einzigen akzeptierten Währung – ging ich zum Visum-Schalter. Geschubse, Gedrängel, lange Reden. Dann zum Kassenschalter. Geschubse, Gedrängel, lange Reden. Das Visum sei übermorgen fertig, sagte der Beamte, eine Hand mit Dollarscheinen, die seine Aufmerksamkeit zu erregen versuchte, im Gesicht. Ich wollte aber schon morgen fahren. Man habe mir gesagt, ich bekäme es morgen. Das solle ich zwei Türen weiter klären. Ein stämmiger Iraner in einem Jackett war so freundlich, bei dem Gespräch mit dem Beamten zu dolmetschen. Bevor ich ging, fragte ich ihn noch weshalb er hier sei. Er sei der Chef eines Bauunternehmens. Ein afghanischer Angestellter habe einen Unfall gehabt und „was damaged“. Jetzt müsse er sich hier um den Transport der Leiche nach Afghanistan kümmern.

Zwei Türen weiter, das war wieder der Schreibtisch hinter der Tür mit dem Fenster. Der Mann, der mir gestern versichert hatte, ich bekäme mein Visum spätestens morgen, war nicht da. Heute käme er auch nicht mehr. Ich bräuchte das Visum aber unbedingt morgen. Allgemeine Ratlosigkeit. Schließlich tauchten zwei höfliche, offensichtlich höherrangige Männer in Anzügen auf. Kein Problem, ich könne das Visum morgen um eins abholen. Sie lächelten, schüttelten mir die Hand und gingen wieder.

Woher wollten die sich so sicher sein? Sie kannten weder meinen Namen noch meine Antragsnummer noch sonst irgendeine Information, mit der sie das in die Wege leiten könnten.

Morgen werde ich es sehen.

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