Zum Tod der deutschen Journalisten in Afghanistan

Mein letzter Eintrag mag nach den jüngsten Ereignisse etwas geschmacklos wirken. Schließlich sind die beiden Journalisten Karen Fischer und Christian Struwe nicht weit von Masar-e Scharif entfernt vor ihrem Zelt getötet worden, während ich am selben Abend den Komfort eines Hotels in der nordafghanischen Stadt gelobt habe.

Aber es ist natürlich kein Zufall, dass mir in dem bewachten Hotel nichts passiert ist. Ob aus Geldmangel, der offenbar bei den Beiden bestand, oder zur Vergnügung: Fischer und Struwe haben eine in Afghanistan seltene und nicht empfehlenswerte Form der Unterkunft gewählt. Sie haben zumindest die Vorsichtsmaßnahme getroffen, ihr Zelt in Sichtweite der Bewohner des Dorfes Tala wa Barfak aufzuschlagen, aber das hat bekanntlich nicht gereicht.

Es war trotz aller zum Teil berechtigter Vorwürfe der Leichtsinnigkeit eine schockierende und auch mysteriöse Tragödie. Auch in Afghanistan werden Menschen nicht einfach ohne weiteres erschossen. Raubüberfälle kommen, auch im relativ sicheren Norden des Landes, schon häufiger vor. Aber den beiden Deutschen ist offenbar nichts gestohlen worden.

Trotzdem halte ich es für wahrscheinlich, dass der Mord an Karen Fischer und Christian Struwe ein schiefgelaufener Raubüberfall war. Die Räuber sind von dem deutschen Paar, das aus dem Zelt gestürzt kam, überrascht worden und waren entweder darüber so erschrocken, was sie dann angerichtet hatten, dass sie wegliefen ohne etwas zu stehlen, oder sind von den herbeieilenden Dorfbewohnern verschreckt worden.

Es war ein Fehler, im abgelegenen Dorf Tala wa Barfak ohne Orts- oder Sprachkenntnisse und ohne Begleitung eines Einheimischen im Freien zu übernachten. Es war aber kein völlig unverständlicher Fehler.

Die Warnungen der lokalen Bevölkerung sind oft übertrieben. Die Menschen haben angesichts der Kämpfe im Süden Afghanistans und der jüngsten Selbstmordanschläge in Kabul und anderen Städten Angst. Sie stellen die Sicherheitslage häufig überspitzt dramatisch dar. Das gilt in noch höherem Maße auch für die deutsche Bundeswehr, die sich sogar in den sichersten Gegenden so gut wie nie zu Fuß bewegt und vornehmlich damit beschäftigt ist, sich selbst zu schützen. Man kann nur einen realistischen Eindruck der Situation bekommen, indem man sich selber ein Bild davon macht.

Es wird jetzt besserwisserisch in deutschen Medien behauptet, die beiden Journalisten hätten sich bei den lokalen Behörden und der deutschen Botschaft melden sollen. Das entspricht nicht der Praxis. Dass die Botschaft oder die Bundeswehr Bescheid weiß, wo man ist, bringt keinen Schutz. Sie selbst sagen, dass sie nur in Notfällen Hilfe leisten können. Mit anderen Worten: wenn das Unglück schon geschehen ist.

Geradezu aberwitzig ist allerdings der Vorwurf, Fischer und Struwe hätten die afghanische Polizei von ihrer Reiseroute informieren sollen. Ein afghanischer Polizist verdient 50 Dollar im Monat. Das ist auch in Afghanistan sehr wenig Geld und liegt unter dem Durchschnittseinkommen. Es ist allgemein bekannt, dass viele Polizisten korrupt oder gar kriminell sind. In Herat haben mir die Busfahrer, die täglich nach Kandahar im gefährlichen Süden fahren, gesagt, dass ihr größtes Problem nicht die Taliban oder die Räuberbanden seien, sondern die Polizei. Die fordere von ihnen Schutzgeld und würde, wenn sie nicht zahlen, den Bus demolieren. Man kann in Afghanistan Polizisten als Leibwächter mieten. Die meisten Polizisten sind bestimmt harmlos und versuchen höchstens, ein bisschen Geld dazu zu verdienen. Aber es gibt eben auch viele schwarze Schafe, die sich am Drogenschmuggel oder an Raubüberfällen beteiligen. Dass ein Ausländer in Afghanistan der Polizei seinen Aufenthaltsort meldet, vor allem wenn dieser mitten im Nirgendwo liegt, ist etwa so, als würde Dagobert Duck den Panzerknackern eine Wegbeschreibung zu seinem Geldspeicher schicken.

Karen Fischer und Christian Struwe sind sicherlich ein großes Risiko eingegangen, indem sie alleine in Tala wa Barfak gezeltet haben. Zu behaupten, sie hätten damit ihren eigenen tragischen Tod verschuldet, wäre aber mehr als zynisch.

One Response to Zum Tod der deutschen Journalisten in Afghanistan

  1. Ich fand das natürlich auch recht tragisch. Ich muss aber sagen, daß ich auf keinen Fall in einem Zelt draußen geschlafen hätte. Es gibt, in Mazar, Gästehäuser, in die man sich ohne weiteres zurückziehen kann. Sicher, die kosten was, aber besser ist das auf jeden Fall. Wenn man eine Zeit in AFG ist, dann hat man meist Verbindungen und findet in den Städten dann auch private Unterkunft. Nebenbei gesagt: Ich war von 2004 bis 2006 in Afghanistan.

    Heiner Toenne | 17:26 on the 10th of Oktober, 2006

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